Montag, 12. September 2011

Mondaffe aß die Wolken auf - Kapitel 9

Kapitel 9


Die Flut kam. Noch bevor die ideale Höhe erreicht war kletterte man ungeduldig auf die schmale Stufe und öffnete die Tür. Die Gräfin hatte sich offenbar beruhigt und schien einen ganz beträchtlichen Teil ihrer Etikette ohne wiederholte Aufforderung über Bord geworfen zu haben, fast war sie Marcello sympathisch, aber keine Angst, das ist hier nicht die Art von Geschichte, in der die sich nicht leiden können einander lieben lernen. Hass gedeiht viel unkomplizierter manchmal. Der große Raum, der sich ihnen auftat schien eine Art Salon zu sein, es gab diverse Sitzgelegenheiten und schwere Esstische, allerdings gab ihm die geschwungene, doppelte Treppe in die Galerie des Obergeschosses etwas von einem Foyer. Der berüchtigte Mondaffe schien sich oben aufzuhalten, seine blaue Mütze lag betroffen auf dem Chaisselon. Aber da kam er auch schon mit einem breiten Grinsen, wie Jean-Paul Belmondo die Treppe herunter, seine Gäste zu begrüßen. Er hatte sich einen hellbeigen Bademantel übergeworfen, dessen Band er beim Heruntergehen verknotete. “Entschuldigt bitte meinen Aufzug, ich habe noch nicht mit euch gerechnet und bin ein wenig unvorbereitet, ich werde gleich den Diener schicken und wir ziehen den Kaffee ein bisschen vor.” Der Mondaffe rutscht die Stühle an den Tisch und bedeutet den Dreien Platz zu nehmen, klingelt mit einem Glöckchen und wendet seinen Gästen den Rücken zu um leise und ein bisschen geheimnisvoll dem Diener, einem sehr afrikanisch aussehenden Schwarzen, einige Aufträge zu erteilen. Marcello raucht eine Zigarette mit Spitze und die Gräfin sieht sehr abwesend aus, während der Grünschnabel einfach nur dumm guckt, wie ein Schlagzeuger, mit geöffneten Lippen. “Was beschäftigt sie, meine Liebe?” -Marcello versteckt hinter leicht ironischem Ton, dass er der Gräfin beweisen will, er könne sich in Gesellschaft bewegen, wenn er wollte. Die Gräfin merkt das und verkneift sich ihn spüren zu lassen, dass er es wirklich nicht könnte, auch wenn er wollte und daran arbeitete, und antwortet ihm ehrlich: “Ich mag das, wenn hier auf so weiße Vorhänge mit Spitze die Sonne eine Fläche wirft. Mit dem Fensterbrett und der Pflanze und dieser Erkernische überhaupt erinnert es mich an ganz leise Nachmittage aus meiner Kindheit, als in der Küche immer ein gelber Kanarienvogel sang.”. Affi, der Mondaffe schenkt aus einer silbernen Kanne Kaffee in die dünnen Tassen. Es ist vier Uhr nachmittags. Eine kleine Pendeluhr schlägt aus einem anderen Zimmer und während man sich unterhält wird man heute unglaublich müde. Die Sonne blendet und die Bewegungen sind unwirklich und wie im Traum. Affi hatte eigentlich vor mit der Gesellschaft nach draußen zu gehen, aber wenn er daran dachte, die schwere Bequemlichkeit der Situation zu unterbrechen und dann mit dem Boot zur Insel der Freuden überzusetzen, nur um im Rätselgarten mit den großen eckigen Hecken und den Rosenbüschen zu lustwandeln, ach näää, dazu sollte noch genug Zeit sein, wenn dann die Polen kommen. Nach all dem Stress kam jetzt der Moment, dass er sich richtig ein bisschen freute auf die Hochzeit, jetzt  schien es ihm nicht  mehr Pflicht, er freute sich wie auf einen Jahrmarkt oder den Zirkus. Ich denke niemand hat wirklich den Zeitpunkt mitbekommen an dem alle eingeschlafen sind. Und Marcellos Schlaf war voller wunderlicher, schwüler Träume in denen die Zimmer sich verwandelten und Lärm war ohne Geräusch, und die Haut war dicker als sonst er konnte nicht um die Ecke sehen was da war.

Tigerfell und oben drauf dieser schöne große Arsch
Skifahren mit nackten Beinen,
Dschungelrose aus dem tiefsten Indien,
Unterwasser-Mystery (eine Höhle in der Felsenwand)
Cocktailparty mit Jazzband
Madame Clouseau spielt falsch
Ich fass es nicht
Der Nietnagel war´s
Die kleinen Federicos hätten´s
Nicht besser machen können,
Was rede ich - natürlich,
Jean-Pierre Leaud -Les 400 coups
Die Lauschner Schanze nunter,
 Was muss das für ein Gefühl sein,
Wie fliegen,
Der fürchterliche Schneemensch,
Ein blau-weiß-gestreifter Zug
Verlässt den Bahnhof ohne Halle
Oh, wann kommst du?
Ich habe kleine Stücken Brie vorbereitet
Ich habe roten Wein vorbereitet
Einen weichen roten Ätna - der Vulkan

Durch die Grautöne, die stark im Kontrast,
Voneinander sich eindeutig und sauber
Treenen und trennen
Sie schwub wie die Cardinale
Und beugte sich dabei
Bis sie schließlich saß
Auf einem Klavierhocker
Vor einem Flügel,
Der eine Nue zu groß war
Und schwarz und glänzend war
Und auf den Tasten lag ein
feines Puder,
Sie nahm es mit einem Zauber
Und strich es in den
Abendhauch
Orientalisch übernahm die
Farbe, erst unsichtbar
dann  pastellen matt
das Sechzehn-zu-neun
Meiner Auffassungsgabe

Eine kleine Übelkeit
A little stomache illness
A black stripe above
A black stripe beneath
A slim window
But the biggest world harbour
Mein Schiff läuft
aus und ich bin niemals
Vorbereitet
Ich packe nicht

Um 3 (Uhr)
Ein Jahre totes Pfeifen stimmt nicht minder heiter. Wenn ich in den zauberhaften Garten komme, frage ich nach den Zwillingen. Am Strand der Fliegeninsel liegen Kinder. War ich kurz wach, ich habe doch die anderen da liegen sehen und kurz durch die Gardinen nach draußen in die Sonne geblinzelt?
Marcello geht im Kopf die Mondaffensache durch, soll er nicht lieber die schöne glatte Story in ein Lewis-Carroll tauchen, in einem Joyce zerbrechen, mit Dylan-Thomas-Zauber natürlich und fellinem Unernst? In etwa so:

Und oben war eben noch nicht so leer
Und eben Schichten über Schichten
Lebten und hatten Kultur
Und waren wie wir,
Aber waren doch Wolken und Nebel und Luftfeuchtigkeit und alles dazwischen
Sich speisend aus dem unendlichen Meer,
dessen tote, leere Tiefen
kein Vieles bargen
und das nichts durchzog.
Ruhig  jetzt, seit Äonen liegt es still,
Umschließt kühl den warmen, weichen Kern
Des einstigen Sturmplaneten
Ruhig schon zu jenen Zeiten
Als oben Zivilisation
Stürme gegen klare Himmel
schmale und kleine runde
sahen sich dereinst,
kamen zusammen,
Ihre Seelen wurden eine Seele,
Und wurde wieder zwei,
Und wurden Viele,
Und waren wie wir,
Identitäten
Höhen der Gebirge
Türme bis ins All
Die Atmosphäre schon ganz dünn
Und waren die Wolken eine große Scheibe
warfen sie einen gigantischen Schatten auf das
blaue Meer
Und über allem
Der kleinste der vier Monde
Moonape stepped out the dark
Und der junge Affe sah es lange an
Sah von dort
Wie Winde die Wolken
Einander treefen und treffen lies
Wie Streit war zwischendurch
Wie manchmal tagelang
Nur Meer war
Und dann wie in tausend Decken
Der Planet verpackt
Auf dass man ihn getrost hätte fallen lassen können
Und er wäre nicht zersprungen
And moonape grew
Und als seine Macht im Zenit stand
Beschloss er aus einer Laune heraus,
Die Wolken zu essen
Während er aß
Es waren die schönsten Jahre seines Lebens
Während er aß
Wühlend durch wattedichten Nebel,
Feine Schlieren einsaugend in klarer Höhenluft,
die nicht darüber dachten,
wie wahrscheinlich Ameisen, die der Ameisenbär holt,
nahm die schmachen Dünste über dem Wasser
durch die Nüstern und überwand
riesige Kuben voll Nichts
bis vor ihm die Alpen
Heraufstiegen
Aus Wattesahne gebaut
Kaum Druck ausübend auf die massiven gelben Zähne
Mondaffe aß die Wolken auf
Moonape ate the clouds

Als man erwachte muss es gegen Acht Uhr gewesen sein, draußen war es schon dunkel und alle sahen ziemlich mitgenommen aus, als ob man im Zelt geschlafen hätte, auch die Geräusche hörten sich danach an. Der Mondaffe wurde sofort von plötzlich einsetzendem Stress gebeutelt, was er alles noch hätte erledigen müssen und jetzt kommt jeden Moment der weitere Besuch. Ein bisschen hat er die anderen mit den unangenehmen Gefühlen gleich angesteckt, so dass die bequeme Schlafluft einem Aufruhr wich und es war eine Stimmung auf einmal als ob man im Streit auseinandergegangen wäre und man angekotzt ist von den Fressen der Anderen. Eine Stinkwut, richtiger schöner Hass und genausoschnell wie es gekommen war, wars auch wieder weg und jetzt kommen auch schon die Polen, man hört von draußen unheimlichen Lärm. Die Gesellschaft begibt sich geschlossen zur Tür. Marcellos Augen waren das Licht noch nicht wieder gewöhnt und in der Stockdunkelheit draußen erkannte er nur Hunderte verschiedenfarbiger Lichter, Glühbirnen, die an Booten befestigt waren. So um die fünfzig solcher Boote legten vor dem Turm des Mondaffen an und die Familien polnischer Verwandtschaft der Braut machten einen Heidenlärm ohne laut zu sprechen, denn sie wollten die schlafenden Kinder auf ihren Armen nicht absichtlich wecken. Allein das Geklapper irgendwelcher mitgebrachten Töpfe und anderen Gepäcks durch das Schwanken der Boote verursachte die extreme Unruhe. Marcello ist zu müde, um dieses ganze Empfangsszenario auszuhalten und verabschiedet sich nach oben in das für ihn vorgesehene Gästebett. Beim Hinaufgehen findet er die Lichtschalter nicht und kämpft sich auch aus Faulheit im Dunkeln zu seinem Zimmer durch. “Vincent wird heiraten” spricht er fast laut aus.

Am nächsten Morgen sind alle sehr geschäftig unterwegs, so dass Marcello schon allein deswegen eine Abscheu davor hegt, hinauszuunzen ins Bad und sauer liegen bleibt. Der Blick zum Fenster hinaus in dieser Höhe ist fantastisch. Das kleine Zimmer scheint extra als Gästezimmer angelegt worden zu sein, in einer Ecke stehen irgendwelche großen zusammengerollten Papierbögen, der Rest ist Hotel, und so´n bisschen omamäßig - tschechisch.

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