Kapitel 12
Marcello geht die Treppe hinab und sieht, dass jemand
aufgeräumt haben muss inzwischen. Schlechte Laune irgendwie heute, nichts
scheint irgendwie Spass zu machen, obwohl alles in Ordnung ist und alle Türen
offen stehen. Eigentlich sogar deswegen, verfluchte Freiheit, wählen können –
that sucks. Der junge Typ aus dem Boot kommt auch die Treppe runter in den
Salon, den hat Marcello ja schon lange nicht mehr gesehen, aber er ist
irgendwie verändert. Er sieht jetzt böse aus und gar nicht mehr unschuldig und
schüchtern. Trotz seines schmalen Körperbaus meint man er könne einen im
Faustkampf besiegen. Marcello traut sich gar nicht ihn anzusprechen, sagt aber
doch leise “hey“. Der junge Mann nickt und setzt sich, die Hände hinter dem
Kopf verschränkend, auf ein niedriges Chaisselon, greift nach einer Zeitung und
blättert darin. Auf der Titelseite steht „Stuntman versenkt Aston Martin im
Comer See“. Ach. „Wenn die Gräfin aufgestanden ist, reisen wir ab. Man erwartet
uns schon in Wien. Man hat uns als Ersatz für das Schlauchboot einen Ballon
geschickt, man reist heute nicht mehr im Boot, Ballon ist mehr en vogue, wenn
sie verstehen, was ich meine“. Marcello war überrascht, dass man schon heute
abzureisen plante, wo doch über eine Woche vorgesehen war. Er erinnerte sich
nicht genau, aber es können höchstens 4 Tage gewesen sein. An der Rezeption ist
inzwischen enormer Betrieb entstanden, Portiers fahren Wagen mit Koffern hinaus
(es gab auf dem Wasser an dem einen Ausgang jetzt sowas wie eine schwimmende
Insel, eine Plattform, die nur wenig schaukelt und an der kleine Boote und
Gondeln festgemacht sind), ein älterer Herr im Trenchcoat steht seine Brille
reinigend an der Rezeption und klopft dann mit den Fingern auf den Tresen, zwei
Poitiers versuchen einen kleinen weißen Hund einzufangen, der mit der Leine um
seinen Hals die Blumenständer umwirft. „Dann geh ich mal schnell hoch und pack
meine Koffer, es wird nicht lange dauern“ sagt Marcello. „Nehmen sie sich Zeit,
die Gräfin schläft meistens bis 10 und frühstückt dann auf jeden Fall noch.“
„Alles klar“. Marcello rennt trotzdem die Treppe hoch, horcht aber außer
Sichtweite eine Weile nach unten und geht dann langsam in sein Zimmer und setzt
sich auf´s Bett, blickt aus dem Fenster. Ach. Wien also, schön, dass ich auch
mal informiert werde. Die beiden sind wohl jetzt ein eingeschworenes Team, die
Gräfin und der grimmige junge Mann. Da kann man den Ballon durchs Fenster sehen
und Marcello steht auf, öffnet es und lehnt sich hinaus, erschrocken darüber,
wie kalt es doch ist. Der Ballon kommt langsam runter und von oben schmeißen
welche Seile hinab und von unten schmeißen welche Seile mit kleinen
Gewichtsäckchen dran hinauf. Ein einziges Hinab- und Hinaufwerfen ist das da
draußen denkt Marcello. Es klopft an der Tür. „Die Gräfin lässt fragen, ob der
Herr mit ihr zu frühstücken wünschen.“ - „Äh, ja doch, richten sie ihr aus, ich
komme gleich“.
Als Marcello den Speiseraum betritt, wundert ihn wie
in dem schmalen runden Turm ein so gigantischer Speiseraum passen kann, mit hohen
Fenstern und Kronleuchtern und mindestens 20 langen Tischen, an denen jeweils 6
bis 8 Leute platznehmen können, die im Augenblick ungefähr zur Hälfte besetzt
sind. Man dreht sich nach Marcello um, wenn er vorbeiläuft; er nickt und
lächelt, bekommt aber keine Antwort. Die Gräfin sitzt mit Gruffy von der
Gummibärenbande an einem der längeren Tische und ein Gedeck ist frei. „Guten
Morgen, wie haben sie geschlafen?“ Die beiden lachen. Aha, gebumst haben die
die ganze Nacht, denkt Marcello und schlägt sein Ei auf. Man frühstückt lange
und spricht wenig, aber Marcello erfährt,
dass Vincent und seine Braut am Vortag abgereist sind in die
Flitterwochen nach Haiti und dass das mit dem Viermaster 2 Wochen dauert dahin
zu kommen und dass in Wien, wenn sie ankommen der Kongress beginnt, man warte
dort nur auf die Gräfin und die Rebellen könnten jeden Tag Anschläge verüben,
erst gestern sei wieder eine Bombe in ein Caféhaus am Prater geflogen, es müsse
also jetzt zu einer Entscheidung kommen, und die Anwesenheit der Gräfin sei
unerlässlich. Der Mondaffe kommt an den Tisch. Er entschuldigt sich, dass er in
den letzten Tagen nicht so viel Zeit für seine speziellen Gäste gehabt habe,
aber das Haus sei vollkommen ausgebucht und ständig seien seine logistischen
Fähigkeiten gefordert, ohne ihn würde alles aus dem Ruder laufen, er hoffe,
dass Vincent einmal den Laden übernimmt, dass es ein einträgliches Geschäft sei
und Vincent und seine Braut, und die Kinder, die sie hoffentlich haben werden,
sehr gut davon leben könnten und es schade wäre, den guten Ruf der Anlage
ungenutzt verblassen zu lassen. Man verabschiedet sich höflich und formell und
tritt hinaus auf den Vorplatz, also die schwimmende Insel, wo schon die Koffer
in den Ballon geladen werden. Nachdem alles verstaut ist, steigt man in den
Ballon und hebt ab. Die Gräfin winkt mit einem weißen Tuch, der Mondaffe von
unten mit seiner Riesenpatsche. Der Turm wird langsam kleiner und Marcello
fällt auf, wie einsam er doch in dem gigantischen Ozean steht, wie fern von
allem, direkt unheimlich. Verständlich, warum sich der Mondaffe solch ein
Domizil geschaffen hat, kann es doch auf dem Mond auch nicht einsamer gewesen
sein, damals, vor seiner nizzaer Zeit.
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