Montag, 12. September 2011

Mondaffe aß die Wolken auf - Kapitel 12


Kapitel 12

Marcello geht die Treppe hinab und sieht, dass jemand aufgeräumt haben muss inzwischen. Schlechte Laune irgendwie heute, nichts scheint irgendwie Spass zu machen, obwohl alles in Ordnung ist und alle Türen offen stehen. Eigentlich sogar deswegen, verfluchte Freiheit, wählen können – that sucks. Der junge Typ aus dem Boot kommt auch die Treppe runter in den Salon, den hat Marcello ja schon lange nicht mehr gesehen, aber er ist irgendwie verändert. Er sieht jetzt böse aus und gar nicht mehr unschuldig und schüchtern. Trotz seines schmalen Körperbaus meint man er könne einen im Faustkampf besiegen. Marcello traut sich gar nicht ihn anzusprechen, sagt aber doch leise “hey“. Der junge Mann nickt und setzt sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkend, auf ein niedriges Chaisselon, greift nach einer Zeitung und blättert darin. Auf der Titelseite steht „Stuntman versenkt Aston Martin im Comer See“. Ach. „Wenn die Gräfin aufgestanden ist, reisen wir ab. Man erwartet uns schon in Wien. Man hat uns als Ersatz für das Schlauchboot einen Ballon geschickt, man reist heute nicht mehr im Boot, Ballon ist mehr en vogue, wenn sie verstehen, was ich meine“. Marcello war überrascht, dass man schon heute abzureisen plante, wo doch über eine Woche vorgesehen war. Er erinnerte sich nicht genau, aber es können höchstens 4 Tage gewesen sein. An der Rezeption ist inzwischen enormer Betrieb entstanden, Portiers fahren Wagen mit Koffern hinaus (es gab auf dem Wasser an dem einen Ausgang jetzt sowas wie eine schwimmende Insel, eine Plattform, die nur wenig schaukelt und an der kleine Boote und Gondeln festgemacht sind), ein älterer Herr im Trenchcoat steht seine Brille reinigend an der Rezeption und klopft dann mit den Fingern auf den Tresen, zwei Poitiers versuchen einen kleinen weißen Hund einzufangen, der mit der Leine um seinen Hals die Blumenständer umwirft. „Dann geh ich mal schnell hoch und pack meine Koffer, es wird nicht lange dauern“ sagt Marcello. „Nehmen sie sich Zeit, die Gräfin schläft meistens bis 10 und frühstückt dann auf jeden Fall noch.“ „Alles klar“. Marcello rennt trotzdem die Treppe hoch, horcht aber außer Sichtweite eine Weile nach unten und geht dann langsam in sein Zimmer und setzt sich auf´s Bett, blickt aus dem Fenster. Ach. Wien also, schön, dass ich auch mal informiert werde. Die beiden sind wohl jetzt ein eingeschworenes Team, die Gräfin und der grimmige junge Mann. Da kann man den Ballon durchs Fenster sehen und Marcello steht auf, öffnet es und lehnt sich hinaus, erschrocken darüber, wie kalt es doch ist. Der Ballon kommt langsam runter und von oben schmeißen welche Seile hinab und von unten schmeißen welche Seile mit kleinen Gewichtsäckchen dran hinauf. Ein einziges Hinab- und Hinaufwerfen ist das da draußen denkt Marcello. Es klopft an der Tür. „Die Gräfin lässt fragen, ob der Herr mit ihr zu frühstücken wünschen.“ - „Äh, ja doch, richten sie ihr aus, ich komme gleich“.

Als Marcello den Speiseraum betritt, wundert ihn wie in dem schmalen runden Turm ein so gigantischer Speiseraum passen kann, mit hohen Fenstern und Kronleuchtern und mindestens 20 langen Tischen, an denen jeweils 6 bis 8 Leute platznehmen können, die im Augenblick ungefähr zur Hälfte besetzt sind. Man dreht sich nach Marcello um, wenn er vorbeiläuft; er nickt und lächelt, bekommt aber keine Antwort. Die Gräfin sitzt mit Gruffy von der Gummibärenbande an einem der längeren Tische und ein Gedeck ist frei. „Guten Morgen, wie haben sie geschlafen?“ Die beiden lachen. Aha, gebumst haben die die ganze Nacht, denkt Marcello und schlägt sein Ei auf. Man frühstückt lange und spricht wenig, aber Marcello erfährt,  dass Vincent und seine Braut am Vortag abgereist sind in die Flitterwochen nach Haiti und dass das mit dem Viermaster 2 Wochen dauert dahin zu kommen und dass in Wien, wenn sie ankommen der Kongress beginnt, man warte dort nur auf die Gräfin und die Rebellen könnten jeden Tag Anschläge verüben, erst gestern sei wieder eine Bombe in ein Caféhaus am Prater geflogen, es müsse also jetzt zu einer Entscheidung kommen, und die Anwesenheit der Gräfin sei unerlässlich. Der Mondaffe kommt an den Tisch. Er entschuldigt sich, dass er in den letzten Tagen nicht so viel Zeit für seine speziellen Gäste gehabt habe, aber das Haus sei vollkommen ausgebucht und ständig seien seine logistischen Fähigkeiten gefordert, ohne ihn würde alles aus dem Ruder laufen, er hoffe, dass Vincent einmal den Laden übernimmt, dass es ein einträgliches Geschäft sei und Vincent und seine Braut, und die Kinder, die sie hoffentlich haben werden, sehr gut davon leben könnten und es schade wäre, den guten Ruf der Anlage ungenutzt verblassen zu lassen. Man verabschiedet sich höflich und formell und tritt hinaus auf den Vorplatz, also die schwimmende Insel, wo schon die Koffer in den Ballon geladen werden. Nachdem alles verstaut ist, steigt man in den Ballon und hebt ab. Die Gräfin winkt mit einem weißen Tuch, der Mondaffe von unten mit seiner Riesenpatsche. Der Turm wird langsam kleiner und Marcello fällt auf, wie einsam er doch in dem gigantischen Ozean steht, wie fern von allem, direkt unheimlich. Verständlich, warum sich der Mondaffe solch ein Domizil geschaffen hat, kann es doch auf dem Mond auch nicht einsamer gewesen sein, damals, vor seiner nizzaer Zeit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen