Montag, 12. September 2011

Mondaffe aß die Wolken auf - Kapitel 11

Kapitel 11


Der Mondaffe saß auf seinem Ohrensessel. Ich sag mal seine Gedanken: Ich... soll ich... ob ich mir eine Pfeife stopfe... mit dem Mangotabak den ich mir in der Friedensstrasse gekauft habe. Je ne sais plus. (der Mondaffe war seinerzeit einmal Franzose gewesen, damals als das Riesenrad auf dem Place Massena aufgebaut war zum Weihnachtsmarkt. Die Straßenbahn fuhr noch nicht in Nizza, aber ein Bus, Sunbus hieß das damals, heute heißt es ligne d´azur, also die Straßenbahngesellschaft, die das alles regelt mit den Straßenbahnen und den Bussen und einem die tickets verkauft und die an der Akropolis die Baustelle veranlasst hat, die alle so stört. Aber damals ist er gar nicht mit der Straßenbahn oder mit dem Bus gefahren, sondern die ganze Strecke gelaufen, über die Avenue Borriglione und die Avenue Malausséna, über die Avenue Jean Medecin zum Place Massena und an der Altstadt und der Oper vorbei zum Place Garibaldi zur Akropolis, zur Université Saint-Jean d´Angély, Saint-Roch und dann diesen Hügel nauf bis irgendwann eine Kurve so aussah. Als ob´s dahinter nicht mehr weitergeht und dann ist er wieder zurück zu Saint-Roch und mit dem Bus nur heimgefahren.) Ja, ich mach´s. Ich bau mir eine Peife. So den Tabak öffnen, und jetzt etwas herausnehmen und hineingetan, wo ist denn mein Pfeifenbesteck? Ah hier. Und stopfen, zu fest, etwas lockern mit dem Besteck, Feuer? Streichhölzer! Streich. Funz. Hhhhhh (Einatmen, das denkt man beim Einatmen, jedenfalls beim bewusst einatmen, und bei diesem ersten Zug an der Pfeife atmete der Mondaffe bewusst, seine Konzentration galt dem kleinen hölzernen Kopf seiner Pfeife)

... 

(Pause)

(Gedankenpause sozusagen)

Hier sitzen.

Hier sitzen und nichts tun.

Und rauchen.

Die Pflanze. Die Pflanze auf dem Fensterbrett. Sie steht da und ist gesund und ist still und unbeweglich wie auf einem Foto. Ein Stilleben. Ich bin dumm. Ach, Zweifel. Warum? Ach, Zweifel. Mein Glaube ist ein methodischer. Ich glaube erst einmal an alles und lass es sich dann als Irrtum bewahrheiten. Mag es und nutze dann mein mögen ab. Was ich dann noch mag, ist wahrhaftig, hat sich bewährt und verdient, dass ich es mag. Ich überprüfe auf Sättigung, hab ich satt war es nicht richtig, war es nur ein Trugschluss, ein anfänglicher. Andere zweifeln erst, sehen etwas und haben es schon satt. Sehen es manchmal nicht und haben es schon satt. Sehen es wie es „gesehen wird“ und haben es deswegen schon satt. Sie meinen sie sehen es mit ihren eigenen Augen, aber sie sehen es nicht, sie haben gar keine eigenen Augen, nur geliehene, oder gekaufte, schon vorgefertigte Augen, Instant-Augen, die man nur aufgießen musste mit kochendem Wasser und die dann erst zu Augen geworden sind. Ich sehe, nicht von Natur aus aber mit einer Anstrengung, mit Argusaugen. Tausend Argusaugen von denen ich dann eins nach dem anderen schließe, bis meine Augen übrig bleiben. Mein methodischer Glaube steht deren methodischem Zweifel gegenüber. Anfänglich zweifeln sie an allem, wie Descartes, aber nicht wegen Descartes, sondern aus Faulheit und Dummheit, und wo Descartes noch seinen Zweifel hat „ausräumen lassen“, wenn sich eine Sache dann doch als richtig und wahrhaftig erwiesen hat, was ja sein eigentliches Ziel war, denn wirklich gezweifelt hat er nie an den Objekten seiner Untersuchungen, da lassen sie diesen Zweifel in den seltensten Fällen „ausräumen“ und beharren darauf, um nicht Unrecht gehabt zu haben, denn sie haben ihren Zweifel geäußert wo und wann sie nur konnten, und wenn du vor ihnen weggelaufen bist und nicht hören wolltest was sie denn jetzt wieder beschissen fanden, sie sind dir hinterher gerannt und haben es dir nach geschrien, auf dass nicht einer irgendwann von ihnen unbehelligt doch noch gut und groß und wahrhaftig nenne, was sie schon in den Schmutz gestampft haben in ihrer faulen und dummen Borniertheit. Diese Borniertheit ist es nämlich in der sie sich einrichten, in der sie ihrer Faulheit und Dummheit ein Heim schaffen, und ihr Nährboden anlegen und Wurzelwerk sich darin ausbreiten lassen, damit sie gedeiht und einen starken Stamm bekommt und bloß nicht flexibler grüner Stengel bleibt. Wo käme man denn da hin, man wäre angreifbar sein Leben lang und hätte keinen festen Boden und könnte von heute auf morgen anders sein. Und sie haben Nachbarn und Mitmenschen, die ebenfalls ihren Stamm züchten, jeder seinen eigenen, das haben wir wenigstens geschafft, dass nicht mehr alle die gleiche Borniertheit teilen müssen, wie im Mittelalter und den guten alten totalitären Systemen. Man hat heutzutage sein eigenes totalitäres System in sich drin, dass ist auch stabiler. Und die Härte der Stämme der Anderen und deren Verachtung gegenüber dem Nächsten stärkt die Stämme umso mehr.

Grüner Stengel... Hab ich auch nicht. Bin auch totalitär, und auch ein bisschen froh darum. Noch grün, ja, das vielleicht. Wenn Kindheit grün ist und der Alte borniert, nein Moment, der Alte wird senil, und im Alter auch irgendwie wieder grün, auf eine wahnsinnige Weise, der harte Stamm ist im Mittelalter, im eigenen Mittelalter, ab 25 beim Mondaffen, bis 45 vielleicht, dann geht’s wieder abwärts. Wenn also Kind grün ist und der Mittelalte Stamm, ist in mir, der ich mittelalt und nicht borniert oder nur zum Teil borniert bin, noch viel Kind. Und das ist was die Anderen verstecken. Aber die dies nicht verstecken mag ich auch nicht. Die Junggebliebenen. Jugendliche schon gar nicht. Also alle die, die so fröhlich auch mal kindlich sind. Sie spielen nur nach, was sie für kindlich halten, was sie als kindlich erfunden haben, was gar nicht kindlich ist, sondern die erwachsenste Erfindung überhaupt, die unkindlichste, die dem Kindlichen extremst gegenüberstehende. So wie dieses weichgezeichnete Spielzeug in den Läden heute, vor allem in diesen alternativen Holzspielzeugläden, in denen solche einfarbig angestrichenen, rundgeschliffenen, minimalistisch stilisierten Holzfiguren herumstehen, für ein Kind nichts als langweilig und für die alternativen, fröhlichen, junggebliebenen Mütter sehr schön und so altmodisch, dabei ist früher kein Spielzeug so hässlich und langweilig gewesen und das angestrichene Holz ist nichts als modisch. Und dann kaufen sie es und tragen es mit ihren ringelförmigen Filzhüten in braunen Papptüten nach Hause und stellen es neben ein Anderes auf den Laminatboden in dem sterilen aufgeräumten Kinderzimmer, in dem ein weiterer Mensch fantasielos aufwächst und dann wegen dem Fantasiedefizit und dem gleichzeitigen Fantasiekult später Kunst studiert und fantasielose unangreifbare, einfarbig angestrichene, rundgeschliffene, minimalistisch stilisierte Kunst herstellt, damit sie in Sparkassen und Banken hängt und in Sammlungen in white cubes und ein fantasieloser Mensch darüber reden kann, seine alternative Borniertheit düngen, seine aus Antispießigkeit erwachsene Spießigkeit, seine post68er hippiesverlachende, neokonservative, multikulturheuchelnde Königin der Faulheit und Dummheit, und dann rümpft er die Nase bei allem Nicht-Zeitgenössischen, und langweilt sich zu Tode bei der erbärmlichen Inszenierung, er interessiere sich aber auch für die alten Meister und kunstgeschichtlich interessante Werke, als ob er sie von den schlechten unterscheiden könnte, als ob seine Parameter eigener Meinung entsprängen und nicht nur kümmerliche Stütze sind, um nicht aufzufallen, und glotzt und spielt seine Rolle in Betrachtung eines flämischen Stillebens...
Stilleben
Still und regungslos steht da die Pflanze auf dem Fensterbrett...

Die Pflanze...

Oh, meine Pfeife ist ausgegangen, wo hab ich denn nur das Pfeifenbesteck hingelegt, ah, da ist es ja. Ausleeren...
...und so weiter und so fort, das also waren die Gedanken des Mondaffen, oder wie man in seiner Heimat sagen würde des „Singe du lune“

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