Donnerstag, 17. September 2009

Mondaffe aß die Wolken auf - Kapitel 6

Kapitel 6

In einer Badewanne irgendwo in einer Wüste zwischen zwei einander ähnlichen Kakteen beginnt das Wasser an der Oberfläche zu brodeln. Eine Person schießt geradezu heraus, schreiend mit verkrampfter Haltung. Es ist Marcello. Nachdem er die Ewigkeit kennen gelernt hat und deren Bedeutung in vollem Umfang erfassen durfte, hatte der Zufall oder die Logik oder ein Gott (wer weiß das schon) ihn hierher geschickt. Als Marcello begriff das das, was vorherging vorbei ist war er irgendwem dankbar. Die Ewigkeit lang war er gefallen, immer nur nach unten, immer schneller werdend, sich drehend, nach oben und unten und nach allen Seiten nur Weiß, undifferenziertes, schattenloses, gleißendes Weiß.
Er ist nicht nur sehr lange gefallen, es kam ihm nicht nur vor wie die Ewigkeit, es war die Ewigkeit, unendlich lange. Dabei schrie er die ersten 2000 Jahre, dann dachte er 10 000 Jahre nach, begriff wirklich alles, was man durch Denken begreifen kann, dann fühlte er noch 20 000 Jahre ohne zu denken alle möglichen Emotionen, aber irgendwann war Schluss. Sein Ich gab auf, vom Denken wurde ihm schlecht, das Fühlen war er leid, die Sehnsüchte folterten ihn. Nun war er leer, wie die Ewigkeit um ihn herum. Nun empfand er auch das Fallen nicht mehr. Ein unendlich kleiner weißer Punkt auf einem unendlich großen weißen Blatt Papier. Nach einer Zeit die sich für uns gar nicht mehr ausdrücken lässt schlich sich eine Emotion in Marcellos vergessenes Bewusstsein. Die endgültige Emotion, die alle Gefühle beinhaltet, allerdings nicht einfach vermischt sondern immer das eine Gefühl mit seinem Gegenstück gepaart. Wer sich jetzt das gewaltigste, größte Gefühl vorstellt liegt falsch, es ist das Erbärmlichste. Die Freude wird von der Gleichgültigkeit verschluckt, die Liebe vom Bewusstsein der Nichtigkeit des Seins, Hass und Depression von der Lächerlichkeit zertrampelt.
Kurz darauf kam auch der endgültige Gedanke, ein paradoxer Gedanke der sich selbst auffrisst, weil jeder seiner Inhalte sich selbst widerspricht.
Was übrig bleibt ist ein zugeschüttetes Loch, ein ausradierter Strich, ein vergessenes Leben, ein vorher verhindertes Ereignis, eine Greultat ohne Opfer, ohne Täter, ohne Zeugen, ohne Richter, ohne Henker.


Sein erstes wieder unkomplexes Gefühl war also jetzt die Dankbarkeit gegenüber wem auch immer. Er war zurück vom Point of no Return. Das Unendliche war vorbei. Er wollte an diesem Gefühl festhalten, wider dem Bewusstsein seiner Nichtigkeit. Das funktionierte auch aber Marcello war dann zu faul und ihm wurde langweilig. Mancher denkt vielleicht Marcello wäre nach dieser Tortur jetzt dem Leben zugewandt, würde es genießen zu fühlen und zu leben. Auch logisch wäre, wenn er antriebslos und fad wäre, weil ihm für alles ein Grund fehlt. Aber dem war nicht so, er war naiver, unüberlegter und ergab sich jeder noch so lumpigen Emotion ohne Genuss. Er spazierte durch diese Wüste, zertrat aus Spaß ein paar Eidechsen, lachte danach hämisch. Bereute es, vergaß es, ließ sich ablenken vom Spiel zweier einsamer dünner Wolken. Er fand eine Höhle und beschloss sich darin einzurichten, falls so was wie nacht kommen sollte. So was kam. Und so was kam öfter. Und dazwischen saß Marcello auf Steinen und blickte in Richtungen, auf Dinge und auf Keine. Er aß gebratene Tiere, Gundis, Klippschliefer oder wie die Dinger heißen, und Wurzeln. Irgendwann als er das Tal zwei Tage hinaufgelaufen war traf er auf Schafe, behütet von einem Jungen. Er nahm ein männliches und ein weibliches unter die Arme und wollte zurückgehen, doch der Junge beschimpfte ihn in seiner Sprache und wirbelte mit dem Stock herum. So musste Marcello ihn schlagen. Die Schafe vermehrten sich über die Jahre und Marcello hatte nun mit deren Milch und den Datteln die im Palmenhain einen Tagesmarsch von der Höhle zu finden waren ein ausreichend abwechslungsreiches Menue.

Vincent kam an den Eingang der Höhle, war ja klar dass die sich jetzt irgendwie treffen, aber gerade im Augenblick war Marcello nicht da. Vincent legte sich in Marcellos Strohbett und schlief. Nach vier Tagen kam Marcello zurück. Er war unterwegs auf Olivenbäume getroffen und hatte einen ganzen Sack voll mitgebracht. Am Eingang der Höhle schlug er erst mal, weil blöd auf einen Stein getreten, der Länge nach hin. Voll auf die Fresse. Die schwarzen Oliven verteilten sich hüpfend im Zimmer, Marcello fiel noch bevor er aufschlug ein, wie ihm als Kind mal ein Eimerchen eben gepflückter Blaubeeren auf der Straße runtergefallen ist und er bitterlich geweint hatte wegen der ganzen Arbeit, denn so´n Eimerchen Blaubeeren kann bei nem Kind schon mal drei Stunden dauern, außerdem gabs ja dann keinen Kuchen. Vincent hingegen assoziierte Marcellos slapstickartigen Sturz mit einer Szene aus einem Inspektor Clouseau Film mit Peter Sellers, den er offenbar aus einem anderen Leben kennen muss. Er erklärte es sich damit, dass wirklich wichtige Sachen eben lebensübergreifend weiter in Erinnerung bleiben.
Vincent sprang auf und half Marcello auf die Beine. Seine Fresse war blutig und der Schneidezahn abgebrochen. Die beiden blickten einander an, inzwischen sahen sie sich ziemlich ähnlich. Die Haare lang und verfilzt, Bärte und von der Sonne rote, verschwitzte Gesichter. Fest davon über zeugt, dass sie eigentlich sich selbst in verschiedener Ausführung gegenüberstehen, setzten sie sich hin und begannen Feuer zu machen. Sie aßen Schaf, Marcello hatte eine große Menge Fleisch getrocknet und gepökelt, und die für beide neuen Oliven. Marcello war es der als erster anfing zu reden. Er erzählte von der Geschichte mit den Blaubeeren, die ihm wieder eingefallen war und Vincent berichtete ihm von dem Clouseau -Film und dass er eigentlich in diesem seinen jetzigen Leben überhaupt noch keinen Film gesehen hat. Sie diskutierten lange, Marccello meinte er hätte Lust mal wieder so einen Film mit Peter Sellers zu sehen oder einen mit DeFunes und sie sprachen über den Schafjungen, den beide getroffen hatten, und Marcello meinte es wäre schön, wenn sie Wein hätten und als Vincent dann sagte er kenne nicht den Wein und Alkohol überhaupt, da beschloss Marcello sie wollen am nächsten Tag losziehen um Alkohol zu beschaffen. Dann schliefen beide ein.

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