Kapitel 2
“Ein anderer war wahrscheinlich dementsprechend unhandlich. Aber wozu brauchte man einen handlichen Wegrandmarkierungs-Stützel, mal gesetzt den Fall, das Ding heißt so. In diesem Film damals waren jene Stützel ausschlaggebend für die atmosphärische Dichte. Ich glaube sie gaben den einzigen Anhaltspunkt für einen Schluss auf das 20igste Jahrhundert, sonst hätte man den zeitlichen Rahmen dieser sonst so kosmisch unbestimmbaren dialogischen Handlung wohl kaum ausmachen können. Obwohl...” Seine Gedanken kamen ins stocken “...da war auch noch dieser Duft beschrieben, der Duft frittierter Tintenfischringe. Friteusen, gab es die vor 1950... Friseusen.” Nun hatte er endgültig den Faden verloren. Wie war er überhaupt auf diesen Faden, der ja letztendlich in ein Schiffstau ausgeartet war, gekommen? Natürlich, diese unsagbar unausbalancierte Frau mit den Feldarbeiterwaden hatte ihn auf den LKW-Notstreifen angesprochen, dessen Nutzen es anhand eines Fallbeispiels zu erklären galt. Sie redete ja immer noch. Obwohl es ihm auffiel machte er keine Anstalten seine Konzentration zurückzuführen, ihn interessierte, warum er keine Ausgeglichenheit an der flachstirnigen pinguinesqen Euterfrau zu finden imstande war. Dann erklärte er sich diesen Umstand damit, dass die Phrasierungen der Dappe, vor allem die gesetzten Härte-Akzente nicht zu ihren Bewegungen passte. Als wäre sie schlecht synchronisiert worden. “Na ?” sagte sie jetzt mit etwas passenderer Betonung, er erkannte nämlich sofort, das sie eine Antwort von ihm schon seit einer längeren Pause, deren Dauer zu bestimmen ihm innerhalb von Sekunden Schweisperlen herausfontainierte, zu erwarten schien. “Kot mit Blut und Kot” antwortete er, wohl wider dem Bewusstsein hätte er “WAS?” gefragt wäre das auch nicht schlimmer gewesen. Ihr angewiderter Gesichtsausdruck vermochte noch außergewöhnlich lange dem Verwunderungsblick standzuhalten, der dem Fortfahren der Szene förderlich sein sollte, was ja wohl das gestörte Verhältnis ihrer inneren Balance bewies. Sein nächster taktischer Schachzug sollte gleich folgen: “Verzeihung...(räuspert sich)...ich meine natürlich Scheiße, wie konnte ich nur Scheiße verstehen sie, es ist jedes Mal das gleiche ich meine Scheiße aber Scheiße Hauptsache ist ja unsere kleine Scheiße hier scheiße... “ In erst kleinen, zögerlichen, dann verwirrt konsequenteren Schritten verzog sich das alte Sumpfhuhn, noch bevor er diese fäkallastige Wortgruppe mit der Interrogation eines Vortragsfazits beendete. Noch wochenlang beschäftigte dieses Ereignis die Lappenhanna in ihren Träumen. Bahnfahren konnte sie erst mal vergessen. Er hingegen vergas sofort die gesamte Situation, was ihm später noch auf die Füße fallen sollte. Sein Orthopäde hatte eh schon damit gerechnet, schließlich wäre es ja nicht das erste mal gewesen. Die Bahn hielt.
Er schmiss die große Reisetasche auf den dreckigen Plattenboden des Bahnsteigs, was ihm die ersten Antisympathieblicke einbrachte. Aber daran hatte er sich gewöhnt. Schließlich kannte er es sein Leben lang, der Auserwählte zu sein, wenn schlecht gelaunte Maulwurfsmenschen ein Ventil suchten, ihren durch eigene Unfähigkeit der Reflektion ihrer Gefühle entstandenen Menschenhass zu kompensieren. Sein Menschenhass kam ganz woanders her. Ständig scheiterten die Versuche durch logische, nahezu sokratische Diskussion auf die Ursachen der Konflikte zu stoßen, daran, dass seine Gesprächspartner gar nicht erkennen wollten, dass zu lösender Konflikt besteht, geschweige denn sie registrierten, dass sie sich mit jemandem unterhalten. Nicht ,dass ihm derartig einfach strukturierte Gedankengänge noch zu schaffen machten, ärgerlich war die Verspätung dieser Einsicht in die wahrhaftige Spanne der schon erahnten Distanz in der Art des Umgangs der Anderen mit Problemen, besser mit allem. Vereinfacht ausgedrückt sagte er in Erklärungsnot immer: “Ich denk´nich mehr nach über Zeuch!”.
Ein hagerer Alter hatte noch immer nicht den Blick abgewandt. Marcello versuchte zu ergründen warum, immer noch wegen dem etwas forciert lockerem Schleudern der Reisetasche, oder Marcellos Nase? Diese Karikatur einer Haifischflosse im Gesicht, ein wirklich terroristisch großer Zinken, der der Einzigartigkeit seiner Silhouette dominantester Kasus war. Der Greis hatte über dem linken Auge eine gewaltige Beule, die Marcellos Blick einfing. Tischtennisball. Marcello war hochgewachsen und litt unter “Henne Berta”. So nannte seine Mutter diese krüppelige Körperhaltung mit krummen Rücken und hervorstehendem Kopf, also dem Hals fast in der Waagerechten. Seine schlaksigen Gliedmaßen waren ihm am Schlagzeug ehr im Wege. Trotzdem wurde er damals als sie mit der Band loslegten wegen seiner Fähigkeiten, vor allem in den höheren Tempi, bewundert. Er konnte Spannungen erzeugen, durch unerwartete, aber passende Wechsel in den Gegenbeat, und vermochte seine Spielfreude einzubringen ohne unnötig lauter zu werden. Marcello ignorierte das Schwein, unter anderen Umständen hätte er sich mit ihm hoch zu Ross mit der Lanze duelliert, um das Herz der Prinzessin zu gewinnen, aber wie gesagt, unter anderen Umständen eben. Der Bahnhof war hochmodern, aber eben dreckig und fast menschenleer. Da Samstag war konnte man vermuten, dass als der Bahnhof konzipiert wurde, eine stärkerwerdende wirtschaftliche Bedeutung der mittleren Großstadt vorrausgesetzt wurde. An den Wänden neonleuchtete “MacDonelds” und “FishForFun” und ähnliche Billig-Plakiate bekannter Marken und Ketten-Plaketten mit Etiketten. Marcello entschied sich für “Columbo´s Egg”, unschlüssig darüber ob hier ein stranger Humor oder ein schlechtes Englisch für die Namensgebung verantwortlich war. Er aß ein Ei in Form eines Davidsterns mit “SchinkenSplittern” wie die Karte fröhnte. Es schmeckte. “Marschel” hallte es durch die fettige Glastür, die offen stand und geschlossen lag. Marschel rief ihn nur Aule, Alex-Oliver mit vollem Namen, womit man über sein Elternhaus kein Wort mehr verlieren muss. “na altes Arschloch”, seine Stiefel knärzelten in den Raum und irgendwas klimperte, vielleicht ein Schlüssel, wahrscheinlich nicht. Die darauffolgende Unterhaltung beinhaltete nur die alten unabänderbaren Schnauze-Volls und WennNurMalWieders. Aber auch ein paar schöne Geschichten über das Versagen alter Feinde und ein paar glückliche Umstände ehemaliger Freunde
Irgendwie waren die beiden nun in einen Moment hineingesessen, der eine gemeinsame Schweigedankbarkeit aufspülte, die man nur mit guten Freunden erlebt, zwischen denen es keine Spannungen gibt. Also nie. Und so fing auch gleich wieder einer an, entsinnte Füllsätze zu portionieren. Allgemeines eben, wie: “Na? Und?... Wie steht´s eigentlich mit deinen Forschungen zur Praxisrelevanz der Modelle zur Sinnisolierung des pragmatischen Denkens durch akustische Repression über temporär variable Zeiträume?”... “Ach na ja, wir hatten es tatsächlich geschafft, den Sinn von “Vorwände anbringen, um bei geliebten Interaktionspartnern Schuldgefühle auszulösen, welche einen strategischen Vorteil bei der nächsten Forderung ungerechtfertigter Wünsche zur Folge haben, in Liebesbeziehungen” zu extrahieren, aber als wir in auf ein Medium speichern wollten, stellte sich heraus, das hat keinen Sinn.” - ”Ach ja - die Liebe...”
Plötzlich musste Marcello gehen. Ohne Grund natürlich, wer mit einem Grund geht ist es nicht wert, dass man ihm auch nur einen noch so winzigen Fetzen Hornhaut anbietet, wenn er um etwas zu Essen bettelt nach mahlzeitenloser, 2-wöchiger Gefangenschaft
unter Menschen, die nicht annähernd seine Sprache sprechen.
Donnerstag, 17. September 2009
Mondaffe aß die Wolken auf - Kapitel 2
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Philipp Orlowski
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